Auf einen Blick
Die Stacey-Matrix wurde ursprünglich als Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung in komplexen Situationen entwickelt. Heute wird sie häufig zur Auswahl des passenden Projektmanagement-Ansatzes und dem Einsatz agiler Methoden genutzt, auch wenn diese Anwendung kontrovers diskutiert wird.
Wasserfall, Scrum, Kanban, Lean oder Design Thinking: Welche Projektmanagement-Methode eignet sich für dein Projekt? Gleich vorab: Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, auch wenn die Stacey-Matrix oft als Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung eingesetzt wird. Dieser Artikel gibt einen Überblick über Herkunft, heutige Deutung und Kritik zur Stacey-Matrix.
Was ist die Stacey-Matrix?
Die Stacey-Matrix wurde ursprünglich vom Management-Professor und Organisationstheoretiker Ralph Douglas Stacey veröffentlicht. Seine Fragestellungen lauteten:
- Welche Faktoren tragen zur Komplexität in Organisationen bei?
- Wie können Entscheidungen in unsicheren Situationen bestmöglich getroffen werden?
- Welche Strategien eignen sich am besten für Entscheidungen in unterschiedlich komplexen Situationen?
Stacey hat sich in erster Linie also nicht mit der Wahl des bestmöglichen Projektmanagement-Vorgehensmodells beschäftigt, sondern das Thema „Entscheidungsfindung in komplexen Situationen in Unternehmen“ allgemein betrachtet. Schauen wir uns die Original-Matrix einmal näher an:
Version 1: Die Original-Stacey-Matrix
Stehen Probleme oder Herausforderungen an, werden zwei Dimensionen betrachtet:
- Certainty: Im Deutschen steht diese Dimension für Sicherheit oder Gewissheit. Die Kernfrage: Wie sicher sind wir uns in Bezug auf die Entscheidung und/oder das Vorgehen?
- Agreement: In diesem Zusammenhang ist „Übereinstimmung“ die beste Übersetzung. Die Kernfrage: Wie übereinstimmend können wir (bzw. die jeweiligen Entscheidungsträger) die Entscheidungen treffen?
Nach Beantwortung dieser Fragen werden die Ergebnisse in die Matrix eingetragen.
Beispiel: In einem mittelständischen Unternehmen sollen neben B2B-Kunden in Zukunft auch Privatkunden angesprochen werden. Das Management ist sich sicher, dass dieser Schritt unausweichlich ist. Es herrscht also über den Sinn des Vorhabens eine hohe Sicherheit („Close to certainty“). Allerdings gibt es mehrere Ideen, wie genau dieser Weg absolviert werden soll: Eine ausgeklügelte Online-Strategie? Soll eine Agentur beauftragt werden? Soll eine Ausgründung erfolgen? Für jeweils jede dieser Ideen gibt es glühende Verfechter, die aus ihrer jeweiligen Perspektive gute Gründe haben („Close to certainty“). Die Übereinstimmung ist allerdings nur niedrig ausgeprägt („Far from agreement“). Die Situation wird also in der Matrix recht weit im oberen linken Eck eingetragen.
Das Eintragen ist ein erster Schritt – aber was wird nun daraus abgeleitet? Stacey beschreibt in seiner Matrix fünf Bereiche unterschiedlicher Komplexität, die mit verschiedenen Strategien angegangen werden können:
- Close To Agreement, Close To Certainty: Wenn sich alle einig sind und eine hohe Sicherheit über Ergebnisse und Vorgehen herrscht, dann fällt das Entscheiden leicht: Nimm Erkenntnisse aus der Vergangenheit und wende sie auf die Zukunft an und überwache den Prozess. Zielstellung: Wiederhole, was funktioniert.
- Far From Agreement, Close To Certainty: Ist die Sicherheit über Ergebnisse und Vorgehen zwar vorhanden, aber es herrscht Uneinigkeit, dann braucht es Verhandlungen und Kompromisse, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Entscheidungen fallen eher auf politischer Ebene.
- Close To Agreement, Far From Certainty: Alle sind sich einig, aber Details der Ergebnisse und des Vorgehens sind unklar? In solchen Fällen helfen strikte Pläne nicht weiter. Stattdessen ist eine starke gemeinsame Vision nötig, auf die (oft in kleinen Schritten) hingearbeitet wird. Die Idee: Wir arbeiten auf einen bestimmten Zustand hin, ohne die genauen Schritte im Vorhinein zu kennen.
- The Zone of Complexity: Der größte Bereich der Stacey-Matrix ist gekennzeichnet durch eine Kombination mit geringer Sicherheit und Übereinstimmung. Schlechte Entscheidungen sind aufgrund der Unsicherheit oft vorprogrammiert. Die einzige Chance besteht hier in möglichst viel Innovation, Kreativität und einem schnellen Reagieren auf Änderungen.
- Anarchy: Far From Agreement, Far From Certainty: Es gibt sowohl eine riesige Unsicherheit UND ein extrem hohes Maß an Uneinigkeit? Das kann nicht gutgehen. Weder genaue Planung, Erarbeitung von Visionen noch Verhandlungen sind hilfreich. Die einzig sinnvolle Strategie: Dieser Bereich sollte vermieden werden.
Du siehst: Die Stacey-Matrix beschäftigt sich mit der Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Situationen im Allgemeinen. In den letzten Jahren wurde die Matrix jedoch besonders vom agilen Umfeld „gekapert“ und ohne Stacey’s Intention für die Wahl des passenden Projektmanagement-Ansatzes umgedeutet. Ob gut oder schlecht sei dahingestellt: Wir schauen uns auch diese Interpretation näher an.
Version 2: Die Stacey-Matrix zur Wahl des Projektmanagement-Ansatzes
Wer auch immer genau dahinter steckt: Die Achsen der Stacey-Matrix sind in vielen gängigen Abbildungen anders beschriftet:
- „Technologie“: Was im Original die „Sicherheit über das Ergebnis und das Vorgehen“ (Certainty) war, ist zu Technologie oder Methode geworden. Sind Technologie bzw. Methode, die zum Ziel führen werden, bekannt oder unbekannt?
- Anforderungen: Aus der Übereinstimmung (Agreement) werden Anforderungen. Die Fragestellung hier: Wie groß ist die Unsicherheit über die Anforderungen? Sind sie klar oder unklar?
Auch hier ergeben sich Grafiken mit verschiedenen Bereichen:
Basierende auf den Einstufungen werden Schlussfolgerungen abgeleitet, welche Projektmanagement-Vorgehensmodelle sich am besten eignen.
Simpel
Projekte mit bekannten Technologien und Anforderungen haben wenige Überraschungen parat. Aus der Vergangenheit können Best Practices abgeleitet und für zukünftige Projekte angewendet werden. Oft gibt es klare Aktivitäten und fest definierte Ergebnisse. Auch wenn viele Projektleiter in der Praxis mit Budgeteinschränkungen und Ressourcenknappheit kämpfen: Die Aufgabe an sich ist mit klaren Abfolgen und Abhängigkeiten vergleichsweise einfach.
Typische Projektbeispiele: Standard-Bauprojekte oder Inbetriebnahme von Standard-Anlagen, oder im Privaten: einen Kuchen backen
Häufig eingesetzte Projektmanagement-Ansätze: Traditionelles Projektmanagement in Form von Wasserfall– oder V-Modell
Kompliziert
Was bedeutet „kompliziert“ in diesem Zusammenhang? Sagen wir es so: Projekte sind nicht mehr simpel, aber trotzdem in gewissem Maß vorhersehbar. Oft wird der Bereich noch einmal unterteilt:
- Sozial/politisch kompliziert: Hier können sich oft die wichtigsten Stakeholder nicht auf das Endresultat einigen. Warum soll das Projekt überhaupt durchgeführt werden? Welche Ergebnisse haben den größten Wert für das Unternehmen?
- Technisch kompliziert: In solchen Projekten herrscht Einigkeit über das Endergebnis, allerdings ist der Weg dorthin unklar. Agile Ansätze können helfen, schrittweise dem Ziel näher zu kommen.
Insgesamt gibt es in diesen Projekten zwar viele offene Fragen, diese sind allerdings durch genaue Analysen, Verhandlungen oder auch Expertenberatung zu beantworten.
Typische Projektbeispiele: Eine Rakete zum Mond schießen, ein Produkt mit einer neuen Technologie entwickeln
Häufig eingesetzte Projektmanagement-Ansätze: Kanban, Lean
Komplex
In diesem Bereich gibt es jede Menge Risiken. Einen Plan erstellen und diesen von Anfang bis Ende erfüllen? Das wird schwierig! Oft sind weder die Anforderungen bis ins letzte Detail bekannt noch ist von vornherein sicher, welche Technologien und Methoden ideal für den Einsatzzweck sind.
Was ist in solchen Projekten wichtig? Transparenz, Innovation, Kreativität, kurze Iterationen und ständige Prüfpunkte, an denen über das weitere Vorgehen entschieden wird.
Typische Projektbeispiele: ein Kind erziehen, eine neue AI-Applikation zur Kommunikation in Teams entwickeln
Häufig eingesetzte Projektmanagement-Ansätze: Scrum
Chaotisch
Ein Projekt wie dieses fordert besonders heraus: Völlig unklare Anforderungen, Technologien und Methoden liegen vor.
Welcher Ansatz hier der beste ist, daran scheiden sich die Geister. Eines ist klar: Mit traditionellem Planen kommst du nicht weit. Aber passt Kanban am besten, ohne Strukturen wie Sprints und mit Fokus auf „Work in Progress“ (WIP)? Oder eher Ansätze wie Design Thinking? Eine eindeutige Antwort gibt es wohl nicht und die Gefahr eines Scheiterns ist in jedem Fall sehr hoch.
Eine mögliche Lösung kann lauten: Bereits vor Beginn zu zumindest einem gewissen Maß an Klarheit über die Anforderung zu gelangen, womöglich eine vorläufige Entscheidung über Technologien zu treffen und so das Projekt in den Komplex-Bereich zu verschieben.
Häufig eingesetzte Projektmanagement-Ansätze: Design Thinking, Kanban, Scrum
Die Stacey-Matrix und das Cynefin-Framework
Die Einstufung in simpel, kompliziert, komplex und chaotisch kommt dir bekannt vor? Kein Wunder: Das Cynefin-Framework ist eine ähnliche Methode und verspricht, das richtige Vorgehensmodell für eine Situation zu finden:
In der ursprünglichen Version der Stacey-Matrix drehte sich alles um Entscheidungsfindung in unterschiedlich komplexen Bereichen in Unternehmen. Das Cynefin-Framework betrachtet das Umfeld von Situationen und Vorhaben und leitet passende Handlungsalternativen ab.
Was ist passiert? Im Projektmanagement-Umfeld dienen nun beide Ansätze dazu, Situationen zu beschreiben und bei der Wahl des passenden Projektmanagement-Ansatzes zu helfen.
Kritik an der Stacey-Matrix
Ralph Douglas Stacey hat sich mittlerweile von der Matrix distanziert und spricht sich explizit gegen die Verwendung aus, unter anderem, weil sie zu schnell fehlinterpretiert wird (Quelle) – vielleicht aber auch, da sie häufig völlig anders verwendet wird als ursprünglich von ihm entwickelt.
Typische Kritik zur heutigen Anwendung der Stacey-Matrix:
- Das Projektumfeld wird nicht ausreichend berücksichtigt. Quelle
- Es kann generell hinterfragt werden, ob der Grad der Komplexität ein sinnvolles Kriterium für die Wahl des Vorgehensmodells ist. Quelle
- Die Matrix wird instrumentalisiert, um agile Ansätze zu bewerben und undifferenziert als Lösung für alle komplexen Probleme darzustellen. Quelle
- Das Modell wurde zu oft von verschiedenen Interessengruppen für eigene Zwecke adaptiert. Quelle
- Genau genommen handelt es sich nicht um eine Matrix mit klar definierten Feldern. Quelle
Bei all dieser Kritik: Hat die Matrix dann überhaupt eine Aussagekraft? Anders gefragt: Kann mit ihrer Hilfe der richtige Projektmanagement-Ansatz ausgewählt werden? Sagen wir es so: Sie kann zumindest dabei helfen, die Situation zu visualisieren, kann inspirieren und gibt zumindest einen Indikator dafür, welche Vorgehensmodelle sich in ihren Rand-/Extrembereichen weniger eignen.
Wie so oft gilt: Gesunder Menschenverstand und eine große Portion Erfahrung ist wichtiger als das stumpfe Anwenden einer Methode. Noch dazu, wenn wie in diesem Fall die Methode nicht auf messbaren Größen beruht, sondern auf einer vagen, pauschalisierenden und oft subjektiven Einordnung in ein Schaubild.
Fazit
Die Stacey-Matrix wurde ursprünglich als Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung in komplexen Situationen entwickelt, wird heute allerdings häufig zur Begründung des gewählten Projektmanagement-Ansatzes genutzt. Hierbei werden Projekte nach ihren Anforderungen (klar bis unklar) und der Technologie (bekannt bis unbekannt) eingestuft und landen in einer der folgenden vier Bereiche: simpel, kompliziert, komplex oder chaotisch.
Ob die Bereiche automatisch ein passendes Vorgehensmodell nach sich ziehen sollten, wird kontrovers diskutiert. Viele vertreten folgende Auffassung: Je komplexer und chaotischer, desto agiler. Auch der folgende Online-Test folgt dieser Philosophie: https://proagile.de/stacey-matrix/ Möchtest du tiefer in die Materie einsteigen, dann schau dich gern in den Links im Abschnitt „Kritik an der Stacey-Matrix“ um.