Auf einen Blick
Bei der selektiven Wahrnehmung filtert das Gehirn Informationen, da es nicht alle Reize und Informationen aus der Umgebung gleichzeitig aufnehmen kann. Sie wird geprägt durch Erfahrungen, Erwartungen oder auch das eigene Weltbild. Selektive Wahrnehmung hilft dabei, die Informationsflut zu beherrschen und sich auf Wichtiges zu konzentrieren.
Ganz frisch den neuen roten Golf gekauft und plötzlich siehst du auf der Straße überall rote Autos oder Golf-Wagen? Spannend ist: Diese Autos tauchen nicht plötzlich auf. Sie waren schon immer da, nur dein Gehirn nimmt diese nun selektiv stärker wahr. Warum passiert das? Ein recht kluger Schachzug deines Gehirns, denn es ist im Grunde eine Schutzmaßnahme. Bei der selektiven Wahrnehmung blendet dein Gehirn gewisse Informationen aus, ohne dass du es bewusst wahrnimmst. Klingt spannend? Wir schauen uns hier mal genauer an, wie das funktioniert und was das mit Projektmanagement zu tun hat.
Was ist selektive Wahrnehmung – und was passiert im Gehirn?
Bei der selektiven Wahrnehmung (auch: Aufmerksamkeitsblindheit) filtert dein Gehirn Informationen, da es nicht alle Reize und Informationen aus der Umgebung gleichzeitig aufnehmen kann. Jede Sekunde ist ein Viertel unseres Gehirns damit beschäftigt, das Gesehene zu filtern.
Beispiel:
Stell dir vor, dein Gehirn hätte keine selektive Wahrnehmung – das wäre fatal! Dann wären nämlich alle Reize gleichwertig, wie zum Beispiel die Stimmen im Nachbarbüro, das Gefühl der Tastatur unter deinen Fingern, das Dokument auf deinem Bildschirm, das Gefühl von Frösteln am offenen Fenster und der Geruch von Kaffee. Wenn alle Reize gleich stark aufgenommen und verarbeitet werden, ist es praktisch unmöglich, sich zu konzentrieren.
Das Gehirn wählt also bestimmte Informationen aus und fokussiert sich darauf. Dabei sind mehrere Areale deines Gehirns gleichzeitig tätig, wie zum Beispiel der präfrontale Kortex und der sensorische Bereich des Hinterkopfs für visuelle, auditive und sensorische Reize.
Die Auswahl der Informationen wird außerdem durch Erfahrungen und Erwartungen beeinflusst – wie beim roten Auto. Auch das eigene Weltbild spielt eine große Rolle: Bevorzugt siehst und verarbeitest du die Informationen, die deinem Bild entsprechen. Dein Gehirn sagt dir also, dass diese Informationen momentan besonders wichtig für dich sind.
Ist das jetzt gut oder schlecht? Ganz klar: Beides. Durch die selektive Wahrnehmung kannst du dich auf wichtige Informationen konzentrieren. Auf der anderen Seite kann es aber auch zu Fehlwahrnehmungen kommen, wenn wichtige Informationen übersehen oder unerwünschte Informationen unbewusst selektiert werden.
Beispiele zur selektiven Wahrnehmung
Schauen wir uns noch ein paar Beispiele an:
- Wenn du zu spät zur Arbeit kommst, hast du eher die Tendenz, dich auf rote Ampeln zu konzentrieren. Tendenziell ignorierst du die grünen Ampeln, die den Weg freimachen.
- Du bist auf einer Messe oder Party mit lauter Umgebung und unterhältst dich mit einer Person intensiv. Während der Unterhaltung werden die Geräusche und andere Gespräche um dich herum leiser.
- Du bist auf Diät und dein Kopf ist ständig auf der Suche nach Lebensmitteln, die du nicht essen solltest, anstatt der leckeren Dinge, die du essen kannst.
- Dein Handy mal wieder verlegt? Hier konzentriert sich dein Gehirn auch zu gerne auf die Stelle, an der du das Handy zuletzt gesehen hast und verliert dabei den Überblick über das gesamte Umfeld.
- Du bist im Urlaub auf der Suche nach einem bestimmten Restaurant. Dabei wirst du wahrscheinlich eher Schilder und Straßennamen wahrnehmen, anstatt der schönen Architektur oder Landschaft.
Du siehst: Selektive Wahrnehmung ist ein ständiger Begleiter im Alltag.
Selektive Wahrnehmung im Projektmanagement
Auch im Alltag des Projektmanagers kann die selektive Wahrnehmung dein Handeln beeinflussen. Ein paar Beispiele hierzu:
Filterung der Informationen: Informationen werden so gefiltert, dass sie in das bereits bestehende Weltbild passen.
Beispiel:
Der IT-Leiter blickt mit großem Stolz auf seine Server-Landschaft und ignoriert die gestiegenen Netzwerk-Zusammenbrüche.
Anpassung an das eigene Weltbild: Informationen werden so gedeutet, dass sie dem eigenen Weltbild entsprechen.
Beispiel:
Der stolze IT-Leiter sieht die Netzwerk-Zusammenbrüche als vernachlässigbar an und weist auf die hohe Stabilität hin.
Ausblenden von abweichenden Informationen: Informationen, die nicht zum eigenen Weltbild passen, werden zu einem viel höheren Anteil komplett ausgeblendet oder so umgedeutet, dass sie doch wieder in das Bild passen.
Beispiel:
Am Jahresende lobt der IT-Leiter die Stabilität und die Innovationen und ist sich tatsächlich der erhöhten Netzwerk-Ausfälle zu Beginn des Jahres nicht mehr bewusst.
Fokussierung auf bestimmte Informationen: Befinden sich Menschen in einer dringlichen Situation, ist ihre Wahrnehmung viel stärker auf das Problem und dessen Lösung fokussiert als auf den Rest der Umwelt.
Beispiel:
Eine Person muss während eines Meetings dringend zur Toilette. Der Gedanke an die Toilette wird schnell einen viel höheren Stellenwert einnehmen als die geteilten Informationen im Meeting.
Zahlen, Bilder und Informationen werden von unterschiedlichen Menschen also unterschiedlich gedeutet. Diese Deutung kann auch in verschiedenen Situationen durch den gleichen Menschen unterschiedlich ausfallen.
Weitere Beispiele:
- Das Gehirn eines Projektmanagers mit extremer Detailverliebtheit filtert womöglich die kleine Verzögerung in einem Teilprojekt stärker als den insgesamt positiven Projektfortschritt.
- Wenn ein Projektmanager die Planung eines Projekts abschließt und sich nur auf die geplanten Meilensteine und Aktivitäten konzentriert, könnte er wichtige Risiken übersehen, die das Projekt gefährden könnten.
- Ein Projektmanager hat einen extrem positiven Blick auf sein Team und übersieht dabei sich anbahnende Konflikte.
- Wenn ein Projektmanager sich auf einen bestimmten Teil des Projekts konzentriert, könnte er andere wichtige Aspekte des Projekts ignorieren, die Auswirkungen auf den Erfolg des Projekts haben könnten.
- Wenn ein Projektmanager übermäßig auf die Einhaltung von Zeitplänen und Budgets achtet, könnte er die Qualität des Projekts vernachlässigen, was letztendlich zu Kosten und Verzögerungen führen könnte.
An diesen Projektmanagement-Beispielen wird eines deutlich: Selektive Wahrnehmung zeigt sich im beruflichen Umfeld auch bei den bevorzugten Arbeitsweisen. Wo der eine eher Thema A im Blick hat, schaut der andere eher auf Thema B und wird diesem die größere Aufmerksamkeit schenken.
Vorteile von selektiver Wahrnehmung
Durch selektive Wahrnehmung werden Informationen also gefiltert, angepasst oder ausgeblendet – ein riesiger Vorteil im Alltag.
Durch den Fokus auf das Wesentliche bist du in der Lage, Aufgaben schneller und effizienter zu erledigen.
Beispiel:
Wenn du gedanklich tief in der Zeitplanung deines Projektes bist, ist es nicht wichtig, ob gerade drei neue E-Mails in deinem Postfach eingehen.
Durch die Reduzierung an Informationen verhindert dein Gehirn auch eine Überlastung – quasi wie ein automatisches Sicherheitssystem. Dadurch fällt es dir auch leichter, zu priorisieren und schneller fundiertere Entscheidungen zu treffen. Dies hilft auch deiner Kreativität, da du dich auf bestimmte Aspekte eines Problems konzentrieren und so neue und fokussierte Lösungen finden kannst.
Fazit
Zusammenfassend ist die selektive Wahrnehmung ein wichtiger Prozess in unserem Gehirn, der dir dabei hilft, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dieser so wichtige Mechanismus hat allerdings auch einen großen Nachteil: Es besteht die große Gefahr, dass du wichtige Informationen übersiehst und nur die Dinge wahrnimmst, die deinem Alltag, Kenntnisstand und Weltbild entsprechen. Selektive Wahrnehmung schlägt dann ins Negative um, wenn du den Blick über den Tellerrand vernachlässigst.
Indem du dir dieses Prozesses bewusst bist, kannst du leichter bewusst entscheiden, ob du an der ein oder anderen Stelle noch mehr Fokus auf gewisse Informationen legen oder dein Gehirn filtern lassen möchtest.
Fragen und Antworten
Selektive Wahrnehmung ist ein Prozess im Gehirn, bei dem nur bestimmte Aspekte der Umwelt bemerkt, während andere ignoriert werden.
Selektiv bedeutet, dass eine Auswahl getroffen wird und nur bestimmte Dinge bzw. Aspekte betroffen sind, die den Auswahlkriterien entsprechen.
Selektive Wahrnehmung an sich ist weder gut noch schlecht. Es ist ein natürlicher Prozess in unserem Gehirn. Je nach Situation kann selektive Wahrnehmung hilfreich sein (z. B. Fokussierung auf das Wesentliche) oder auch Nachteile haben (z. B. wenn wichtige Informationen übersehen werden).